„Ich machte ihn für schwarze Zuschauer. Alle anderen sind auch eingeladen. Aber ich machte ihn für schwarze Zuschauer. Eine Heavy Metal-Platte macht man nicht für jedermann, man macht sie für Heavy Metal-Fans“
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„Es war mein persönlicher `Rio Bravo`, also ein Film zum Abhängen. […] Es sind große Abhänge-Momente“
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„`Jackie Brown` sollte ein Geschenk werden, das immer weiter beschenkt“
(QT über seinen dritten abendfüllenden Spielfilm Jackie Brown; Quelle: Interview „Ein Blick auf Jackie Brown“)
„Ich bin ein großer Fan von Blaxploitation-Filmen, schwarzem Kino und so“
(QT in der Dokumentation „Jackie Brown – How It Went Down“ – enthalten in den Extras der aktuellen Blu-ray-Ausgabe von Jackie Brown; Blaxploitation-Filme: eine Art Subgenre des Exploitation-Films mit schwarzen Schauspielern oder eben: aus der Sicht von Afroamerikanern gedrehte Exploitation-Filme mit den Genre-spezifischen expliziten & reißerischen Inhalten)
„Ich kritisiere nicht, was er tut, oder stelle es in Frage, wie andere das tun. Oder sein Recht, Dinge zu sagen oder zu schreiben, die andere Leute sagen. Vor allem das Wort `N*****`. Ich komme damit klar. Quentin ist, wer er ist. Und er ist sehr literarisch“
(Samuel L. Jackson über QT und auch über den „extensive use“ des „N-Wortes“ in dessen Filmen; aus der Doku „Jackie Brown – How It Went Down“)
In der ersten Hälfte der 90er, genauer: in der Zeit, als Tarantino Pulp Fiction drehte, erwarben er und sein Partner Lawrence Bender die Filmrechte an drei Romanen des US-Schriftstellers und „pulp & crime fiction“-Virtuosen Elmore Leonard (1925-2013), der, wie bereits im Kapitel über Pulp Fiction erwähnt, zu Tarantino’s Lieblingsautoren gehört, was einen nicht weiter verwundern mag, denn Outsider, „psychopaths“ und Gangster, die „casual conversations“ führen, sind auch in den Büchern von Leonard gang und gäbe (Samuel L. Jackson über sonstige „similarities“ zwischen QT & Elmore Leonard: „Er hat die gleiche Art Sensibilität wie Elmore“; Quelle: Doku „Jackie Brown – How It Went Down“).
Bei den drei Romanen handelte es sich um Freaky Deaky (1988), um Killshot (1989) und um Rum Punch (1992). Ursprünglich wollte Tarantino entweder Freaky Deaky oder Killshot verfilmen und Rum Punch einem anderen -ihm bekannten- Regisseur übergeben, aber als er Rum Punch dann eines Abends noch einmal gelesen hatte, war seine Begeisterung von neuem entfacht und die Entscheidung getroffen, dass Rum Punch die Basis seines nächsten Films werden würde, der bis zum heutigen Tag auch „the only feature-length film QT has adapted from a previous work“ geblieben ist.
Tarantino hat immer betont, dass seine Rum Punch-Verfilmung Jackie Brown, die auf gar keinen Fall eine Art „Pulp Fiction 2“ oder dergleichen werden sollte, eine ausgewogene Mischung aus ihm und Elmore Leonard geworden ist (QT: „Es sind etwa 50 Prozent Elmore Leonard und 50 Prozent ich. Und das ist richtig“; Anm.: Die „Stimmen“ von Leonard & Tarantino vermischen sich in der Tat in dem Film, aber QT hat definitiv seine Trademark-Elemente wie „humor & pacing“, also: Humor & Tempo, behalten und „eingefügt“, während er Elemente wie die Beziehungen der Figuren untereinander und deren „Tricksereien & Gaunereien“ zu einem Großteil so belassen hat wie in Elmore Leonard’s Vorlage).
Grundsätzlich sollte Jackie Brown, so Tarantino, „ein Charakterstück werden und seinen eigenen Rhythmus haben“, dabei jedoch ausdrücklich kein Blaxploitation-Film sein, sondern sich lediglich an dem „Ton“ der Blaxploitation-Filme speziell der 70er-Jahre orientieren.
Die wichtigsten Änderungen gegenüber der literarischen Vorlage stellten natürlich die Tatsachen dar, dass QT die „ethnicity“ seiner Heldin und, damit einhergehend, die Hautfarbe der Hauptfigur von „white“ zu „black“ änderte und darüber hinaus auch deren Name von „Jackie Burke“ in „Jackie Brown“ – Letzteres war natürlich als Hommage an den Pam Grier-Film Foxy Brown von 1974 gedacht.
Entscheidend für Tarantino war dabei auch, dass die weibliche Hauptfigur, wie eben in Elmore Leonard’s Buch, eine Frau „in her mid-forties“ blieb, denn die übliche Vorgehensweise im Filmgeschäft wäre damals wie heute wohl die gewesen, dass man „Jackie Burke“ mindestens um 10 Jahre jünger gemacht hätte (QT: „Sie hätten es vermutlich für Michelle Pfeiffer geschrieben“). Außerdem wollte der Regisseur unbedingt gleichsam „eine Liebesgeschichte zwischen zwei älteren Leuten“ zeigen (QT: „Als Pam Grier und Robert Forster sich im Film küssen, sind sie zusammen über 100 Jahre alt“), was -im Grunde- zu keiner Zeit in der „Traumfabrik“ sonderlich „in & angesagt“ war.
Das umfangreiche Skript zu Jackie Brown, das wiederum eine erstaunliche und nahezu „ausufernde“ Menge an Dialogen enthält (Samuel L. Jackson über Tarantino’s Drehbücher: „Alle [seine] Drehbücher haben `Text`. Es gibt nicht 14 Seiten mit Beschreibungen“), sollte der Rum Punch-Autor Elmore Leonard anfangs gar nicht zu Gesicht bekommen, aus Angst davor, er würde -zu Tarantino & Bender- Dinge sagen wie „Was habt ihr aus meinem Buch gemacht?“. Stattdessen meinte Leonard zu Tarantino eher sowas wie „Mach daraus, was du willst!“ und als er von diesem dann doch noch das Skript zur Lektüre erhielt, bezeichnete er es nicht nur sozusagen als „best of the then 26 adaptations of his short stories and novels“ (weitere Highlights auf der Basis von Leonard’s Vorlagen neben Jackie Brown: 1989: Cat Chaser von Abel Ferrara mit „RoboCop“ Peter Weller & „Top Gun-Star“ Kelly McGillis; 1995: Get Shorty mit John Travolta, Gene Hackman & Rene Russo), sondern sogar als „possibly the best screenplay he had ever read“.
Leonard gab sich später aber auch angetan vom fertigen Film und vor allem auch von Pam Grier, denn zu deren Leistung meinte der Schriftsteller Folgendes: „Sie ist echt gut. Sie hat so viel Energie und ist lebendig. Und sie ist knallhart, wenn sie will. Und wie sie sich gegen Samuel L. Jackson auflehnt, das macht die Spannung aus. Das ist die Story“ (Quelle: Doku „Jackie Brown – How It Went Down“; Anm.: QT & Elmore Leonard haben offenbar persönlich dann nie mehr ernsthaft über die Rum Punch-Adaption Jackie Brown gesprochen, denn QT hält in „Ein Blick auf Jackie Brown“ bezüglich Leonard, der sich in Interviews über den Film eben stets positiv geäußert hatte, fest: „Er war beim Presseempfang, aber ich fragte nicht nach seiner Meinung zu dem Film. Ich nahm an, dass er ihm gefallen hat“).
Natürlich spielt Jackie Brown auf Pam Grier’s Karriere „in many ways“ an (mehr dazu im nächsten Abschnitt) und sogar das Filmplakat von 1997 war eine Art Verbeugung vor Grier-Kultklassikern der 70er-Jahre wie Coffy – Die Raubkatze und Foxy Brown, ebenso wie übrigens auch die „opening credits“, die gleichsam den Weg der Stewardess „Jackie Brown“ Pam Grier „to her gate“ begleiten, denn die bei den „opening credits“ innerhalb der „opening sequence“ verwendete Schriftart hat sich QT ebenfalls aus den besagten Filmen „geborgt“.
Überhaupt ist diese ganze Eröffnungssequenz, wie bereits angedeutet, ein wahres Meisterstück und in Wahrheit auch eine Hommage an einen Filmklassiker, jedoch nicht an einen aus dem „kultig-trashigen“ Blaxploitation-Bereich, sondern an Mike Nichols‘ New Hollywood-Masterpiece Die Reifeprüfung (1967; The Graduate; mit Anne Bancroft), in dem sich der damals noch -relativ- junge Dustin Hoffman ganz zu Beginn des Films auch durch den sogenannten „LAX“, den Los Angeles International Airport, bewegt.
Nur tut „Benjamin Braddock“ Dustin Hoffman, und dies ebenfalls begleitet von den „opening credits“ und natürlich von Simon & Garfunkel‘s legendärem „The Sound of Silence“, das auf einem Rollsteig vor einem weißen Hintergrund, während „Jackie Brown“ Pam Grier sich auf dem Rollsteig vor einem blauen Hintergrund nach links bewegt, also in dieselbe Richtung wie Hoffman im Film von 67, „unterlegt“ mit Bobby Womack’s Klassiker „Across 110th Street“, der an sich aus dem von Barry Shear inszenierten „action crime blaxploitation film of the same name“ aus dem Jahr 1972 (in den Hauptrollen: der spätere Leben und sterben lassen-Bond-Bösewicht Yaphet Kotto & Anthony Quinn) stammt.
(ENDE von TEIL 2 - Neu überarbeitete Fassung; Ur-Fassung: 18.05.2020)