„Ich wusste nicht, dass ich eine Kultfigur war, er sagte es mir“
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„Er fand es toll, mit einer seiner Lieblingsschauspielerinnen zu arbeiten“
(Zitat 1: Pam Grier in der Dokumentation „Jackie Brown – How It Went Down“ über ihren „treuen Fan“ Quentin Tarantino; Zitat 2: Tarantino’s legendäre Cutterin Sally Menke (1953-2010) zu dem Umstand, dass QT bei Jackie Brown wiederum mit jemanden arbeiten konnte, den er seit langer Zeit verehrte; Anm.: Sally Menke war für den Schnitt sämtlicher Tarantino-Filme von Reservoir Dogs – Wilde Hunde bis einschließlich Inglourious Basterds verantwortlich und bildete, wenn man so will, mit QT ein ähnliches „Regisseur & Cutterin-Traumpaar“ wie etwa Martin Scorsese & Thelma Schoonmaker)
„Der Film war großartig für Robert Forster, weil er ihn dem Publikum in Erinnerung rief. Jetzt arbeitet er wieder. Für ihn läuft es fantastisch“
(QT über das Comeback von Robert Forster, welches dieser eben Tarantino & Jackie Brown zu verdanken hatte; Quelle: Interview „Ein Blick auf Jackie Brown“; Nachsatz von Tarantino: „Das Coole daran ist auch, dass Comebacks Spaß machen.“)
„Keiner spricht meine Dialoge so wie Sam. Meine Dialoge haben etwas Bestimmtes. Ich mache das nicht absichtlich, es ist nur unbewusst, aber an meinen Dialogen ist etwas. Ich möchte es nicht Poesie nennen, aber es hat etwas damit zu tun. Es ist kein Songwriting, hat aber damit zu tun. Es ist kein Rap, hat aber damit zu tun. Es geht um Rhythmus, aber es ist kein Monolog, es hat Bezug zu Monologen. Es geht um Rhythmus und Tonfall. Und es gibt eine Melodie – nicht in allem, was ich schreibe, aber bei Sam’s Sachen definitiv. Und Sam `singt` meine Dialoge. Man kann es nicht anders sagen. Er verwandelt sie in die Poesie, die sie immer sein sollten“
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„Er war ein Einzelkind. Er lebte vor dem Fernseher und im Kino. So wie ich“
(Zitat 1: QT über Samuel L. Jackson in „Ein Blick auf Jackie Brown“; Zitat 2: Samuel L. Jackson über QT in „Jackie Brown – How It Went Down“)
Natürlich haben das spektakuläre Travolta-Comeback im Rahmen von Pulp Fiction und die, im Vergleich dazu, natürlich etwas bescheideneren Comebacks von Pam Grier & Robert Forster im Rahmen von Jackie Brown Tarantino ein wenig den Ruf eingebracht, bewusst einst gefeierte oder zumindest einst bekannte Schauspieler aus der „Versenkung“ zu holen. Der Filmemacher selbst jedoch sieht das völlig anders (QT: „Man fragt mich oft: `Wen holst du als Nächstes aus der Versenkung? Wen beobachtest du? Wer steht auf der Liste?‘ So denke ich nicht. Ich versuche einfach nur, die besten und coolsten Schauspieler für die Rollen zu finden“) und weigert sich lediglich, in Besetzungs-Fragen nach bestimmten „Listen“ von Studios oder Casting-Leitern vorzugehen, auf denen, so Tarantino, „immer die gleichen Namen“ stehen.
Bereits in der Casting-Phase von Pulp Fiction hatte QT an Pam Grier (Jahrgang 1949) gedacht und sie für die Rolle der „Jodi“ in Betracht gezogen, also für die Rolle der Ehefrau des von Eric Stoltz gespielten Drogendealers „Lance“, bei dem „Vincent Vega“ John Travolta vor dem Treffen mit „Mia Wallace“ Uma Thurman das Heroin kauft. Allerdings fand es Tarantino schließlich wenig glaubwürdig, dass sich sozusagen jemand wie Pam Grier von einem Typen wie „Lance“ anschreien lässt, und die „Jodi“-Rolle ging dann bekanntlich an Rosanna Arquette. Bemerkenswert bei diesem ersten Treffen zwischen Tarantino und Grier war aber der Umstand, dass sich damals in Tarantino’s Büro zahlreiche Filmplakate von Pam Grier-Filmen befunden haben (QT: „Ich bin ein großer Fan von `Coffy`. Ich bin ein großer Fan des Regisseurs Jack Hill, der Pam quasi entdeckte“), die QT sogar vor dem Treffen von der Wand nehmen wollte, um Grier, die ihrerseits wiederum dachte, Tarantino hätte die Plakate extra für das Casting dort platziert, nicht zu verunsichern.
Jedenfalls kam es gut drei Jahre danach dann doch noch zu einer Zusammenarbeit zwischen Grier und ihrem Fan QT (Anmerkung: Der Grier-Fan Tarantino hat sich in Jackie Brown als Stimme auf Grier’s Anrufbeantworter verewigt, was eben nur in der Originalfassung zur Geltung kommt) - und Grier ist als „Stewardess, die nicht noch einmal von vorne anfangen will“ „Jackie Brown“ einfach großartig (QT: „Ich denke, alle mochten Pam in dem Film. Was kann einem nicht gefallen? Sie ist bemerkenswert in dem Film“), nicht zuletzt auch dadurch, da Tarantino die Schauspielerin, nach all den Jahren in der „relativen Versenkung“ (Anmerkung: In den 80ern konnte Grier lediglich als N.Y.P.D.-Detective & Ex-Geliebte von „Ricardo Tubbs“ Philip Michael Thomas namens „Valerie Gordon“ in 3 Episoden der TV-Serie Miami Vice ein größeres Publikum erreichen), gleichsam „glänzen & scheinen“ lässt.
„Jackie Brown“ ist die erste wirklich große Frauenfigur, die QT seinem Publikum präsentierte, und sie widerspricht so ziemlich allen Stereotypen und Klischees, denen „actresses“ in den meisten Filmen der großen Studios seinerzeit entsprechen mussten – insofern ist es nicht verwunderlich, dass QT vor allem auch von zahlreichen Schauspielerinnen extrem positive Rückmeldungen bezüglich der „Jackie Brown“-Figur erhalten hat, nämlich im Sinne von „Du präsentierst uns echte Frauen, keine Barbie-Püppchen“ (QT in „Ein Blick auf Jackie Brown“).
Absolut keine „Barbie-Püppchen“ hatte Grier bereits in den 70er-Jahren dargestellt, in denen sie, und das nicht nur innerhalb der „black community“, mit Jack Hill-Filmen wie Coffy – Die Raubkatze und Foxy Brown Kultstatus erreichte und im Grunde zum „first female action star“ avancierte. In den Werken von Hill, der im Übrigen ein Weißer war und aus der berühmten Roger Corman-B-Film-Schmiede entstammte (wo er im Rahmen eines Filmprojekts, nämlich Corman’s The Terror – Schloss des Schreckens von 1963, den damals ganz jungen Jack Nicholson als „grauenhaften Schauspieler“ bezeichnete), war Grier oft als „Racheengel mit Pumpgun & Maschinenpistole“ unterwegs und räumte mit Drogendealern und Zuhältern auf.
Da QT nicht wollte, dass Jackie Brown eine Art Blaxploitation-Film oder eine Art „gewalttätig-überdrehte Hommage an das Genre“ wird, hat er es, entgegen aller damals kursierenden Erwartungen vor allem eines jüngeren Publikums (QT: „Sie wollten Pam Grier sehen, wie sie mit einer abgesägten Schrotflinte ballert. Sie wollten sie ausrasten sehen“), vermieden, Grier, wie er das später so spektakulär bei Uma Thurman in den beiden Kill Bill-Filmen gemacht hat, als „kampferprobte Kriegerin“ zu stilisieren, was natürlich auch ganz und gar gegen den Spirit der literarischen Vorlage von Elmore Leonard gewesen wäre.
Tarantino zollt in Jackie Brown aber den von ihm besonders verehrten Grier-Filmen der 70er-Jahre anders seinen Respekt, indem er etwa Teile des von Roy Ayers komponierten Soundtracks von Coffy – Die Raubkatze in Jackie Brown integriert hat – so hat Tarantino, beispielsweise, bei Jackie Brown dieselbe „background music“ verwendet wie Hill in der allerersten Szene von Coffy – Die Raubkatze, in der ein „junger Pusher“ sich mit dem „großen Boss“ trifft, der wenig später von „Coffy“ Pam Grier eine Ladung Schrotkugeln ins Gesicht bekommt.
Wäre es nach QT gegangen, hätte Grier für ihre Perfomance in Jackie Brown einen Oscar erhalten sollen (QT: „Pam sollte die erste schwarze Oscar-gekrönte Schauspielerin werden“; Anm.: Die erste Afroamerikanerin, die einen Hauptrollen-Oscar erhielt, wurde schließlich Halle Berry im Jahr 2002 – sie erhielt die Auszeichnung für das Drama Monster’s Ball), bekam aber für die „Jackie Brown“-Rolle „lediglich“ eine Golden Globe-Nominierung, während Grier’s Partner Robert Forster für den „Max Cherry“-Part hingegen mit einer Oscar-Nominierung in der Kategorie „Best Supporting Actor“ belohnt wurde (Anmerkung: Die Trophäe ging damals an Robin Williams für seine Nebenrolle in Gus Van Sant’s Good Will Hunting).
Robert Forster (1941-2019) kommt aus fast derselben „rough & tough“-Exploitation-Film-Ecke wie Grier und auch von ihm war Tarantino ein deklarierter Fan. Forster, der in den 60er- & 70er-Jahren durchaus auch interessante Parts in Werken wie dem „Summer of 68“-Film Medium Cool (1969; Regie: Haskell Wexler) oder dem Katastrophen-Film Avalanche (1978; Regie: Corey Allen; Co-Stars: Rock Hudson & Mia Farrow) hatte, musste in den 80ern und 90ern dann sein Dasein zumeist in billigen „Direct-to-Video“-Produktionen wie Maniac Cop III (1993; Maniac Cop III: Badge of Silence; Regie: William Lustig) fristen (Anmerkung: Einen von der Öffentlichkeit stärker wahrgenommenen Auftritt hatte Forster in den 80ern lediglich in dem Chuck Norris-Kult-Film Delta Force von 1986, in dem Forster den „terrorist group leader“ „Abdul Rafai“ spielte).
Tarantino hatte in Bezug auf Forster, von dessen Filmauftritten er vor allem jenen in dem „monster horror film“ Alligator aus 1980 (Regie: Louis Teague; Drehbuch: John Sayles; manchmal im deutschsprachigen Raum auch als „Der Horror-Alligator“ bezeichnet) mochte, schon seit Beginn seiner Karriere an so eine „Der Typ wird wieder arbeiten, lassen wir ihn arbeiten!“-Einstellung (Quelle: „Jackie Brown – How It Went Down“) und hatte diesen bereits vor Augen, als er die Figur des später dann letztendlich von Christopher Walken verkörperten Mafiosi „Vincenzo Coccotti“ für sein True Romance-Skript kreierte. QT ließ Forster dann sogar für die Rolle des „Big Boss Joe Cabot“ in Reservoir Dogs – Wilde Hunde vorsprechen, die aber bekanntlich an Lawrence Tierney ging, da der Regisseur der Meinung war, dass Forster doch nicht so ganz der Richtige war, um in seinem Debüt „everybody’s boss“ zu spielen.
Den Kautionsvermittler „Max Cherry“ verkörpert Robert Forster in Jackie Brown mit „dunkler, ruhiger Energie“ (Copyright: Pam Grier) und laut Tarantino ist Forster‘s Leistung in seinem Film auch ein Beweis dafür, „dass Schauspieler ihr Handwerk nicht verlernen“ (QT in „Ein Blick auf Jackie Brown“).
Grier & Forster sind als „interracial lovers“ absolut glaubwürdig und die besagte „Liebesgeschichte zwischen zwei älteren Leuten“ sorgt für einige der „ruhigsten“, schönsten und eben „erwachsensten“ Momente im filmischen Werk von Tarantino.
Ein Highlight ist auch der folgende Dialog zwischen Jackie Brown & Max Cherry in „Jackie’s Apartment“, von dem die erste (Max Cherry-)Aussage bereits im Eingangs-Abschnitt des Jackie Brown-Kapitels zitiert wurde und der stattfindet, nachdem Max bei Jackie aufgetaucht ist, um sie nach dem Verbleib seiner Waffe zu fragen:
MAX
Ich wette, Sie können mit 29 nicht hübscher gewesen sein, als Sie’s heute sind.
JACKIE
Ja, mein Hintern ist nicht mehr der gleiche.
MAX
Dicker geworden?
JACKIE
Ja.
MAX
Was kann daran falsch sein?
(aus: Jackie Brown; Fassung laut Skript: MAX: „In fact. I’d make a bet that except possibly for an Afro–you look exactly the same as you did at twenty-nine“ / JACKIE: „My ass ain’t the same“ / MAX: „Bigger?“ / JACKIE: „Yeah“ / MAX: „Nothin‘ wrong with that“)
„Sam ist eine Rampensau. Sam ist durch und durch Schauspieler. Er kam fast schon als Schauspieler zur Welt“ – Nun, QT äußert sich, so wie in dem hier zitierten Ausschnitt aus der Interview-Session „Ein Blick auf Jackie Brown“, stets begeistert über einen seiner bevorzugten Darsteller und Jackson „revanchiert“ sich in diversen „Making Ofs“ & Interviews auch regelmäßig bei seinem Lieblingsregisseur, indem er die Komplimente quasi zurückgibt.
Eines steht auf jeden Fall fest: Samuel L. Jackson ist in Jackie Brown, als Waffenhändler „Ordell Robbie“, ein Ereignis und fast schon beängstigend gut.
„Ordell“ ist sicherlich eine realistischere und „menschlichere“ Figur als „Jules Winnfield“ aus Pulp Fiction (QT über die Figur des Ordell Robbie und über die Unterschiede zu Jules Winnfield: „Er ist weniger cool und stilisiert, aber dafür ein echter Kerl. So `groß´ er auch ist, er hat etwas Echtes“) und Robbie ist unterhaltsam, freundlich, lustig und furchteinflößend zugleich – Jackson hat mit seiner Interpretation zweifellos einen der allerbesten Charaktere im QT-Universum geschaffen!
Jackie Brown zeigt im Grunde aber auch die Entwicklung Robbies zu einem „Monster in einem Monsterfilm“ (QT), denn immerhin geht es am Ende um „sein Geld“ – der „mad kung fu-priest on the mountain look“ (Copyright: Tarantino), der vor allem durch Ordell’s langes und offen getragenes Haar bedingt wird und den er im letzten Abschnitt des Films hat (nachdem er Louis Gara erschossen hat), war Samuel L. Jackson’s Idee, genauso wie auch einige der Outfits, die der Waffenhändler im Laufe des Films trägt.
Die vielleicht beste Sequenz von Jackie Brown ist darüber hinaus jene, in der „Ordell Robbie“ Samuel L. Jackson „Beaumont Livingston“ Chris Tucker (QT bezüglich Chris Tucker: „Er wollte mit Sam arbeiten und er wollte mit mir arbeiten“) bei dessen Apartment abholt, um ihn in den Kofferraum des schwarzen Mercedes zu „quatschen“ und um ihn anschließend zu erschießen. Die gesamte Atmosphäre in der „Beaumont-Sequenz“ ist meisterhaft, was beispielsweise auch den US-Filmkritiker Elvis Mitchell (L.A. Weekly/New York Times) einmal dazu bewogen hat, zu Tarantino persönlich zu meinen: „Die beste Sache, die du je gemacht hast, war die Beaumont-Sache in `Jackie Brown`“.
(ENDE von TEIL 3.1 - Neu überarbeitete Fassung; Ur-Fassung: 20.05.2020)