Mögen Sie auch Tom Cruise und trauen es sich aber niemandem zu sagen?
Wurde man in intellektuelleren Kreisen schon immer schief angeschaut, wenn man Cruise als einen seiner heimlichen Lieblingsschauspieler bezeichnet hat, so ist er heutzutage vor allem wegen seiner militanten Scientology-Sektiererei, mit all ihren problematischen Implikationen, zu einer weder von Hollywood noch von der Presse besonders geliebten Figur geworden.
Aber: Cruise ist wirklich und wahrlich nicht der einzige Schauspieler, der zweifelhafte religiöse oder politische Ansichten vertritt!
Denken Sie zum Beispiel an Mel Gibson und dessen seltsam vorsintflutlich anmutenden christlich-fundamentalistischen Weltbild oder an dessen „Ausrutscher“ rassistischer und antisemitischer Natur. Oder an Bruce Willis, der einmal in den 90ern in einem Interview sprichwörtlich den Vogel abgeschossen hat, indem er gemeint hat, die USA sollen doch bitte gleich die Atombombe gegen ihre Feinde anwenden, denn damit könne man bekanntlich so viele wie möglich davon auf einmal töten – irgendwie haarsträubend, oder?
Die Privatperson Cruise, wer auch immer die ist oder diese sein mag, muss man wohl strikt von dem Filmstar Tom Cruise trennen. Die ganze Wahrheit wissen wohl nur Nicole Kidman oder Katie Holmes :-).
Eines scheint aber auch klar zu sein: Einen Filmstar vom Format eines Tom Cruise, und mit „Format“ meine ich die durschlagende Mischung aus Charisma und Starpower, die dessen großen Erfolg von den 80ern über die 90er bis etwa in die erste Hälfte der 2000er-Jahre getragen hat, gibt es heute keinen mehr. Heute heißen die Kino-Helden, sofern es diese zwischen und in all dem „animierten Wahnsinn“ überhaupt gibt, Kit Harrington oder Channing Tatum (ein Name, mit dem ich erst seit Roland Emmerichs White House Down aus 2013 so richtig ein Gesicht verbinden kann) oder Taylor Kitsch. Letzterer, also Kitsch, hat sich allerdings ein wenig mit seiner Rolle als junger Cop in dem denkwürdigen 8-Teiler True Detective 2 in meinem „filmischen Unterbewusstsein“ verankert (überhaupt gehört dieses True Detective 2, zusammen mit den 8 Teilen der ersten Staffel, die allerdings völlig andere Charaktere und somit auch Hauptdarsteller, nämlich Matthew McConaughey und Woody Harrelson, hat, mit zu dem Besten, was jemals fürs Fernsehen produziert worden ist – ein Muss für jeden Filmfan!).
Ob die Filmstars von heute sich, auch aufgrund mangelnder Unverwechselbarkeit, denn sozusagen so dermaßen und so dauerhaft in den Köpfen und Herzen von Menschen werden verankern können wie viele aus den vorherigen Generationen, und zu diesen „vorherigen Generationen“ muss man auch Cruise mit seinen mittlerweile fast 56 Jahren zählen, bleibt abzuwarten. Wobei mir in diesem Zusammenhang eine Aussage von Woody Allen einfällt, der einmal auf die Worte eines Journalisten, dass er, Allen, nach seinem Tod auf jeden Fall in den „Köpfen und Herzen der New Yorker“ weiterleben werde, geantwortet hat, dass er eigentlich lieber noch ganz gerne eine Zeit lang in seinem Apartment weiterleben würde :-).
Cruise rettete mit seinem berühmten, weil eben unverwechselbaren und ikonischen, Lächeln 1986 schon den tendenziell eher langweiligen Martin Scorsese-Film The Color of Money (Die Farbe des Geldes), die sehr späte Fortsetzung von The Hustler (Haie der Großstadt; 1961; Regie: Robert Rossen). Wie auch in Rain Main (1988; Regie: Barry Levinson) zwei Jahre später, wo Cruise irgendwie auch seinen autistischen Film-Bruder Dustin Hoffman an die Wand spielt, ganz einfach aus dem Grund, weil er die viel schwierigere Rolle als Hoffman spielen muss, denn Hoffmans Rolle ist eine typische Oscar-Rolle, bei der man sich immer denkt „so muss man es machen, wenn man einen Oscar gewinnen will“, kann er in The Color of Money problemlos gegen „Fast Eddie Felson“ Paul Newman bestehen und macht aus einem „Valium-Scorsese“ letztendlich doch noch einen sehenswerten Film.
Tony Scotts Top Gun (Top Gun – Sie fürchten weder Tod noch Teufel; 1986) bleibt einer der unterhaltsamsten Filme der 80er, obwohl oder gerade weil er irgendwie die filmische Quintessenz der Reagan-Ära ist. Die Navy muss Dankesbriefe geschickt haben, angesichts des über 100-minütigen Werbefilms, den Don Simpson und Jerry Bruckheimer da als Produzenten mit Cruise in der Hauptrolle auf die Beine gestellt haben. Tollkühne amerikanische Piloten treffen auf „gesichtslose“ russische Kampfpiloten – der kalte Krieg in Perfektion! Aber wie gesagt: Top Gun ist, wie im Übrigen viele Propagandafilme, wahrhaft kultig und wann immer ich mir den Film, meist gemeinsam mit meiner Frau, ansehe, ist das ein großes Vergnügen. Darüber hinaus ist Cruise in dem Fliegerfilm sogar in den erotischen Szenen mit Kelly McGillis recht überzeugend, jedenfalls weit überzeugender als etwa in den erotischen Szenen mit Nicole Kidman in Stanley Kubricks filmischer Gurke Eyes Wide Shut (1999; literarische Vorlage: Arthur Schnitzler). Noch heute fragt man sich, warum die Dreharbeiten zu dem als „Erotik-Thriller“ angekündigten Eyes Wide Shut drei Jahre gedauert haben, wenn das Ergebnis sozusagen dann nur schlechten Leinwand-Sex zwischen Eheleuten bietet sowie darüber hinaus einen die ganze Zeit eher ratlos wirkenden und in dieser Ratlosigkeit ständig irgendwie fast verlegen grinsenden Hauptdarsteller. Die Ziellosigkeit, mit der Cruise durch die Nacht streift und die natürlich durchaus im Geist von Schnitzlers Vorlage, der Traumnovelle (1926), ist, spiegelt leider auch ein wenig Kubricks Ziellosigkeit bei der filmischen Umsetzung wider. Aber seit Spielbergs 1941 (1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood; 1979) oder Polanskis Pirates (Piraten; 1986) oder Fellinis La Voce della Luna (Die Stimme des Mondes; 1990) weiß man ja: Auch Regie-Genies können schlechte Filme drehen :-).
Aber bleiben wir doch noch ein wenig bei den Tom Cruise-Filmen der 80er!
Den Roger Donaldson-Film Cocktail (1988) wird ganz sicher niemand zu den zentralen Werken des Jahrzehnts zählen, im Gegenteil, den allermeisten Kritikern würde sicherlich das Wort „belanglos“ am ehesten über die Lippen kommen, und das wäre noch nett gemeint. Aber: In dem Star-Vehikel Cocktail verbergen sich seltsamerweise mehr Wahrheiten über das Erfolgsstreben und über die Sucht nach Anerkennung als in so manchem „Problemfilm“, eine Tatsache, die mich selbst immer wieder auch beim x-ten Ansehen erstaunt.
Das Oliver Stone-Kriegsdrama Born on the Fourth of July (Geboren am 4. Juli; 1989), der Mittelteil von Stones Vietnam-Trilogie, zu der auch der legendäre Platoon (1986) und das gefloppte Heaven & Earth (Zwischen Himmel und Hölle; 1993) zählen, leidet ein wenig unter dem Schicksal vieler Oliver Stone-Filme, nämlich, dass sie zwar damals, in der Zeit ihres Erscheinens, für viel Aufmerksamkeit gesorgt haben, heute aber irgendwie zum Teil fast vergessen bzw. schon wieder völlig aus dem Bewusstsein verschwunden sind. Das gilt jetzt, dank dem anscheinend „zeitlosen“ Michael Douglas und dem offenbar „zeitlosen“ Yuppie-Thema, vielleicht weniger für Wall Street (1987) als vielmehr für The Doors (1991), für JFK (JFK - Tatort Dallas; 1991), für Nixon (1995) und sogar ein wenig für Natural Born Killers (1994), einem der spektakulärsten und auf jeden Fall aber kameratechnisch herausragendsten Serienkiller-Filme der 90er. Natürlich bietet Cruise in Born on the Fourth of July, als im Vietnamkrieg verwundeter und schließlich querschnittsgelähmter Kriegsveteran Ron Kovic, eine sehr gute und auch Golden Globe-prämierte Leistung, und auch Stone durfte sich für seinen Film einen zweiten Regie-Oscar abholen, aber vielmehr als der Film selbst, den ich mir seltsamerweise seit gut 25 Jahren nicht mehr angeschaut habe, ist mir die bewegende Golden Globe-Dankesrede des echten Ron Kovics von 1990 in Erinnerung geblieben, der damals entweder von Cruise oder von Stone in seinem Rollstuhl auf die Bühne geschoben wurde. Es gab Ende der 80er und auch die ganzen 90er-Jahre hindurch tatsächlich nur wenig geeignetere Schauspieler als Tom Cruise jenen (natürlich irgendwie auch zutiefst amerikanischen) Spirit auf die Leinwand zu bringen, den Kovic damals, an jenem Golden Globe-Abend, mit den Worten believe in your dreams and your dreams will come true (oder so ähnlich :-)) zum Ausdruck gebracht hat.
Die 90er begannen für Cruise dann allerdings mit zwei Filmen, über die man getrost den Mantel des Schweigens breiten könnte. Der substanzlose Days of Thunder (Tage des Donners; 1990; Regie: Tony Scott) zieht einem, wie alle Filme über das Autorennfahren (inklusive des stets noch als positivstes Beispiel genannte Le Mans mit Steve McQueen, inszeniert von Lee H. Katzin, erschienen 1971), die Nerven, wenngleich darin aber Tom Cruise erstmals gemeinsam mit Nicole Kidman zu sehen ist. Die beiden waren irgendwie das ultimative Promi-Ehepaar der 90er, wobei aber ihre drei gemeinsamen Filme eher zum Davonlaufen sind. Ron Howards Far and Away (1992), als „epic romantic adventure drama“ tituliert, ist vor allem eines: far and away davon ein guter Film zu sein. Im Gegenteil, er ist langweilig und klischeebeladen und ein Beweis dafür, dass zumindest die Leinwand-Chemie zwischen dem Real Life-Ehepaar Cruise-Kidman nie so richtig gestimmt hat.
Nach diesen zwei filmischen Enttäuschungen tat Cruise aber sozusagen einen weisen Karriereschritt und schlug die filmische Anwaltslaufbahn ein.
A Few Good Men (Eine Frage der Ehre; 1992; Regie: Rob Reiner; literarische Vorlage & Drehbuch: Aaron Sorkin) kann man ohne weiteres als einen der unterhaltsamsten Filme der 90er-Jahre bezeichnen, denn es gibt ehrlich gesagt nur ganz wenige Werke, die sich weniger bei wiederholter Betrachtung abnützen als dieser Militär- und Gerichtsaal-Thriller, der über ein wahrlich phantastisches Schauspiel-Ensemble (neben Cruise spielen beispielsweise Jack Nicholson, Demi Moore, Kevin Bacon, Kiefer Sutherland sowie der leider schon verstorbene J. T. Walsh) verfügt. Besonders Jack Nicholson als chauvinistischer Colonel Nathan Jessup ist, erwartungsgemäß, großartig und das finale Duell zwischen Nicholson und Cruise, in dem der junge Anwalt mit dem sich für deutsche Ohren lustig anhörenden Namen Daniel Kaffee sozusagen für seine Mandanten bei Colonel Jessup nur mehr auf das menschliche Phänomen des „Gesteh-Zwangs“ hoffen kann, ist Filmgeschichte. Gäbe es heute auch nur einen einzigen Film in den Kinos, der diese Mischung aus Unterhaltsamkeit und Intelligenz, die Rob Reiners (Reiner ist übrigens der Sohn des Dead Men Don’t Wear Plaid-/Tote tragen keine Karos-Regisseurs Carl Reiner) Werk ausmacht, versprühen würde, dann wäre die Kino-Landschaft wahrlich wieder eine etwas bessere!
Auch Sydney Pollacks erfolgreiche John Grisham-Verfilmung The Firm (Die Firma; 1993) kann als gelungen bezeichnet werden, wenngleich der Film vielleicht eine Spur zu lang geraten ist und in Pollacks beeindruckender Filmographie, zu der etwa Meisterwerke wie Three Days of the Condor (Die drei Tage des Condor; 1975) oder Out of Africa (Jenseits von Afrika; 1985) zählen, irgendwie ein wenig untergeht, da das Werk ganz auf Cruise zugeschnitten ist – ein Robert Redford hat sich da besser in Pollacks filmisches Universum eingeordnet bzw. in dessen filmischem Universum „untergeordnet“. Auch einige Nebenfiguren, wie zum Beispiel die Sekretärin Tammy, die von Holly Hunter gespielt wird, kommen etwas schräg daher, wobei man sich als Zuseher nicht sicher ist, ob das so gewollt war. Eine glatte Fehlbesetzung ist aber auf jeden Fall David Strathairn als Cruises Bruder Ray, denn irgendwie hat man bei den beiden nie wirklich das Gefühl, dass das Brüder sein könnten, vielmehr, dass „Ray McDeere“ Strathairn von einem gänzlich anderen Planeten als „Mitch McDeere“ Cruise kommt. Das eigentliche Herzstück des Films ist aber ohnehin Gene Hackman als Cruises Mentor Avery Tolar, eine desillusionierte, korrumpierte und gebrochene Anwalts-Figur, ein „Character“, wie ihn, und das weiß man seit William Friedkins The French Connection (French Connection – Brennpunkt Brooklyn; 1971), kaum jemand besser als Hackman spielen kann. Ach ja, und in der Kategorie „unnötige Szenen, die die Handlung nicht vorantreiben“ hat The Firm auch einen absoluten Knaller zu bieten, denn warum Tom Cruise/Mitch McDeere so ganz spontan neben einem farbigen Jungen, der Flic Flacs macht, plötzlich, sozusagen im Vorbeigehen, auch Flic Flacs macht weiß keiner so genau – nur um das „dynamische Wesen“ der Hauptfigur zu unterstreichen, hätte es die Szene nicht unbedingt gebraucht.
Gott sei Dank gehört das Flic Flac-Machen seit damals nicht zum Standardrepertoire von Tom Cruise-Filmen, wie der übliche Wutausbruch, das Stühle- oder Sachen-Herumwerfen oder das Nach- und Herumlaufen. Was das Letztere betrifft, nämlich das Laufen, so sprengt Cruises Jack Reacher-Fortsetzung Jack Reacher: Never Go Back (Jack Reacher – Kein Weg zurück; 2016; Regie: Edward Zwick; literarische Vorlage: Lee Child) jeglichen Rahmen, denn es wird darin langsam gelaufen, schnell gelaufen, gemeinsam gelaufen, allein gelaufen, nach links gelaufen, nach rechts gelaufen usw. Wenn man will, ist Jack Reacher: Never Go Back sicherlich einer der teuersten Filme, die je über das Laufen gedreht worden sind :-), nur: Laufen alleine macht noch keine Dynamik und schon gar keinen dynamischen Film!
Neben dem exquisiten Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles (Interview mit einem Vampir; 1994; Regie: Neil Jordan; literarische Vorlage: Anne Rice), dem ich mich gleich zuwenden werde, und dem etwas überkandidelten aber erfolgreichen „romantic comedy-drama sports film“ Jerry Maguire (Jerry Maguire – Spiel des Lebens; 1996; Regie: Cameron Crowe), für den Cuba Gooding Jr. den Nebenrollen-Oscar gewonnen hat (Gooding Jr.`s Oscar-Rede von damals, dieses „Tom Cruise, I love you“-Geschrei, ist ja mittlerweile Oscar-History!), gehört natürlich auch Mission: Impossible (1996; Regie: Brian De Palma), der erste Teil der zwischenzeitlich ja bald sechs Teile umfassenden Filmreihe, zur Cruise-Filmographie der 90er.
Der Superagent Ethan Hunt, den Cruise in der Filmreihe spielt, hat sich überraschenderweise als Dauerbrenner in der Kinolandschaft der letzten zwanzig Jahre erwiesen und man freut sich tatsächlich, wenn man hört, dass ein neuer Teil im Anmarsch ist, noch dazu, seitdem die Mission: Impossible-Formkurve nach dem schwächeren (und auch irgendwie recht seltsamen) dritten Teil Mission: Impossible III (2006; Regie: J. J. Abrams), den meines Erachtens nur der 2014 verstorbene Philip Seymour Hoffman vor dem Total-Absturz rettet, bei den Teilen 4 (Mission: Impossible – Ghost Protocol/dt.: Mission: Impossible – Phantom Protokoll; 2011; Regie: Brad Bird) und 5 (Mission: Impossible – Rogue Nation; 2015; Regie: Christopher McQuarrie) wieder deutlich gestiegen ist. Noch dazu scheint die Mission: Impossible-Reihe weit und breit Cruises einziges kommerzielles Flaggschiff zu sein, auf das er sich weiterhin relativ sicher verlassen kann und bei dem die Kinogeher bereit sind zu vergessen, dass es sich bei ihm um keinen so angesagten Star mehr handelt.
Was den ersten Teil von 1996 betrifft, so muss man sagen, dass dieser natürlich recht ansprechende Unterhaltung und einen Tom Cruise auf dem Gipfel seines Erfolges (Mission: Impossible war der vierte von fünf Filmen, die hintereinander die 100 Millionen-Dollar-Einspielmarke in den USA gesprengt haben) bietet. Die Fans von Regie-Legende Brian De Palma, und ein wenig zähle ich mich auch dazu, werden das anders sehen, denn der Agenten-Thriller kann natürlich in keiner Weise mit De Palma-Filmen wie Carrie (Carrie – Des Satans jüngste Tochter; 1976), Dressed to Kill (1980), Blow Out (Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren; 1981), Scarface (1983) oder auch The Untouchables (The Untouchables - Die Unbestechlichen; 1987) oder meinetwegen auch Carlito’s Way (1993) mithalten. De Palma hat also, mit Cruise als alles überstrahlenden Hauptdarsteller, ein wenig das „Sydney Pollack-The Firm-Syndrom“ ereilt, wobei De Palma aber die Chance zur Abwechslung mal wieder einen richtigen Hit zu landen mit Sicherheit wichtiger war als sozusagen die große Filmkunst.
Ganz und gar zu seinem Film hat aber der legendäre chinesische Regisseur und Action-Virtuose John Woo Mission: Impossible II (2000) gemacht, wobei er allerdings seinem Hauptdarsteller Cruise mit der Kletterszene, die zu Beginn des Films zu sehen ist, ein einmalig eitles Denkmal gesetzt hat, das immer wieder herrlich anzusehen ist – viele Schauspieler würden regelrecht morden, um so stylisch in Szene gesetzt zu werden :-).
Mit Mission: Impossible II geht es mir aber so wie mit fast allen John Woo-Filmen: Ich weiß nicht so recht, was ich letzten Endes davon halten soll, aber das geht mir, wie angedeutet, auch bei den ausgewiesenen Woo-Klassikern und Kritiker-Lieblingen wie A Better Tomorrow (City Wolf; 1986), The Killer (1989), Bullet in the Head (1990) oder Hard Boiled (1992) so. Speziell diese erste Mission: Impossible-Fortsetzung aber kommt mir manchmal genial, dann wieder von mir persönlich überbewertet und tatsächlich auch als das „sinnfreie Spektakel“ vor, das viele Kritiker in ihr gesehen haben, ganz entgegen ihrer sonstigen Einstellung zu den Werken des Regisseurs. Aber bei jemanden wie mir, der einige Zeit lang ausgerechnet Hard Target (Harte Ziele; 1993), Woos nicht gerade künstlerisch angesehenes US-Debüt mit Jean-Claude Van Damme in der Hauptrolle, gut fand, bei dem ist wohl in Sachen John Woo ohnehin Hopfen und Malz verloren :-). Noch dazu fällt Woo für mich in eine Kategorie von Regisseuren, die sich zwar einen gewaltigen Ruf in der Filmwelt und bei Film-Fans erarbeitet haben, bei denen man sich aber nicht sicher sein kann, ob sie einem nicht geschickt ihre inszenatorischen Schwächen als Genialität verkaufen. Sicher in Zusammenhang mit John Woo ist für mich nur eins, nämlich, dass Face/Off (Face Off – Im Körper des Feindes; 1997) mit John Travolta und Nicolas Cage ein eindeutig guter Film ist, vor allem dank der Leistung und des einmaligen Charismas von John Travolta, meinem zweiten heimlichen Lieblingsschauspieler.
In den 2000er-Jahren, in denen sich Cruise dann, nach einer Reihe weiterer Hits, langsam aber sicher, durch Scheidungen und durch durchgeknallte Fernsehauftritte, wie den 2005 in der Oprah Winfrey Show, in der er auf Winfreys Couch herumgesprungen ist (weil er angeblich so verliebt in seine nunmehrige Ex-Frau Katie Holmes war), zu einer Hassfigur in Hollywood entwickelt hat, sticht vor allem ein Film hervor, der eine außergewöhnliche Qualität besitzt, nämlich Michael Manns Collateral (2004). Dieser „neo-noir crime thriller film“ ist, nach dem Robert De Niro-/Al Pacino-Räuber und Gendarm-Duell Heat (1995) der zweitbeste Film, den Michael Mann je gedreht hat, aber mit Sicherheit einer der besten Thriller der 2000er und auch Tom Cruise als eiskalter Auftragskiller mit grau gefärbtem Haar, der in das Taxi von Jamie Foxx steigt und sich im nächtlichen L.A. von einem Mordauftrag zum anderen kutschieren lässt, bietet darin eine der besten Leistungen seiner Karriere.
Eines wurde allerdings in den 2000er-Jahren auch klar, nämlich, dass die vermeintliche Traum-Paarung Steven Spielberg und Tom Cruise zwar auf dem Papier klarerweise geballte „Hollywood-Super-Power“ ergibt, aber gemeinsam keinen wirklich guten Film zusammenbringt. Denn sowohl Minority Report (2002; literarische Vorlage: Philip K. Dick) als auch War of the Worlds (Krieg der Welten; 2005; literarische Vorlage: H. G. Wells), eine Neuverfilmung des Buch-Klassikers, den einst auch Orson Welles 1938 zu einem legendären Hörspiel verarbeitet hat, kommen irgendwie prätentiös daher und scheitern an ihren eigenen Ansprüchen, wie zum Beispiel im Fall von War of the Worlds daran, unbedingt das 9/11-Trauma miteinarbeiten zu müssen. Nein, nein - da sind mir andere Cruise-Filme aus den letzten sechzehn Jahren, wie vor allem der unterhaltsame The Last Samurai (Last Samurai; 2003; Regie: Edward Zwick) oder der harmlose aber amüsante Knight and Day (2010; Regie: James Mangold) mit Cameron Diaz, weit lieber.
Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles (1994; Regie: Neil Jordan)
Es gibt Filme, wie diesen vermeintlichen „Tom Cruise-Film“, die niemand, wenn man an gewisse Kategorien denkt, wie zum Beispiel an die der „abgründigsten Filme der 90er“, auf der Rechnung hat. Ganz gleich geht es einem etwa auch, wenn die „besten Musik-Alben der 80er“ oder dergleichen aufgezählt werden und dabei ärgerlicherweise stets das Album Scoundrel Days von der norwegischen Pop-Gruppe a-ha unterschlagen wird, ein Album, dessen eigentlich düstere Lyrics teilweise sogar die von Roger Waters zu besten Pink Floyd-Zeiten in den Schatten stellen.
Der irische Regisseur Neil Jordan hat, neben Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles, eine ganze Menge erstaunlicher Filme gedreht. Der erstaunlichste davon ist sicherlich das Thriller-Meisterwerk The Crying Game aus dem Jahr 1992, das virtuos die Themen Nationalität, Gender und Sexualität vor dem Hintergrund des Nordirland-Konflikts behandelt und der im Übrigen über einen wunderbaren Titelsong, gesungen von Boy George, verfügt. Völlig zurecht erhielt Jordan für diesen reichlich originellen Mix aus Liebesgeschichte und Psychothriller den Oscar für das „beste Originaldrehbuch“.
Die Tatsache, dass ein morbides und gleichzeitig sogar irgendwie anspruchsvolles Werk wie Jordans Verfilmung des berühmten Vampir-Romans von Anne Rice, die darin auch den Tod ihrer kleinen Tochter verarbeitet hat, überhaupt das Studio-System in Hollywood passieren konnte, würde an ein Wunder grenzen, wenn der Hauptdarsteller eben nicht Tom Cruise geheißen hätte, dem man nach den Riesenerfolgen mit A Few Good Men und The Firm wohl so schnell keinen Rollenwunsch ausgeschlagen hat (Brad Pitt, der in dem Film weit mehr Screen-Time als Cruise hat und vielleicht sogar die wirkliche Hauptrolle, nämlich den unglücklichen Vampir Louis, spielt, war damals ja noch eher am Anfang seiner Karriere).
Aber das ungewöhnliche Ergebnis kann sich sehen lassen, denn Tom Cruise spielt den Vampir Lestat de Lioncourt, so der vollständige Name, ohne vieler seiner üblichen „Filmstar-Mätzchen“ als schrecklich sadistisches Monster mit homoerotischen Tendenzen und schuf somit eines der besten Film-Monster der 90er-Jahre, die ja bekanntlich mit Hannibal Lecter aus Jonathan Demmes The Silence of the Lambs (Das Schweigen der Lämmer; 1991) eines der größten haben. Selbst die Autorin der Vorlage, also Anne Rice, hat ihre anfängliche Skepsis angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet der "Strahlemann" Tom Cruise Lestat spielt, ablegen müssen, als sie das Endergebnis betrachten konnte.
Wann immer ich mit jemanden über den Film rede, kommen wir automatisch, neben der Tatsache, dass der Film eben ganz und gar nicht so leicht verdaubare Kost ist, auf Cruises schauspielerische Glanzleistung zu sprechen und irgendwie hatte stets jeder, wie auch ich selbst, das Gefühl, dass in Lestat vielleicht mehr vom „echten Tom Cruise“ stecken könnte als in vielen seiner anderen Rollen. Ähnlich ergeht es einem im Zusammenhang mit dem Schauspieler nur mit dessen Oscar-nominierten Nebenrolle in Paul Thomas Andersons Magnolia (1999), wo Cruise einen „Guru mit Vaterproblemen“ namens Frank T. J. Mackey spielt, der als Motivator und Trainer Männern „frauenfeindliche Aufreißertechniken“ beibringt.
Neil Jordans Werk, in dem ganz allgemein eine erstaunlich düstere Atmosphäre herrscht wie kaum in einem anderen Hollywood-Mainstream-Film der 90er und in dem die Figuren teilweise aussehen wie auf frühen Farbfoto-Experimenten aus dem 19. Jahrhundert, verfügt dementsprechend über eine ganze Reihe abgründiger und auch brutaler Szenen, in deren Mittelpunkt meist Tom Cruises Lestat steht. So beißt er einmal einer jungen Frau in die Brust und lässt diese dann blutend und mit blutigem Kleid herumlaufen, sperrt sie dazwischen, bevor er sie tötet, in einen Sarg und setzt sich auf diesen drauf, eben weil es ihm, wie er dem entsetzten Brad Pitt auf dessen Frage warum er denn so etwas tue hin mitteilt, Spaß macht. Ein anderes Mal tanzt er mit der toten und bereits verwesenden Mutter des Mädchens Claudia (gespielt von Kirsten Dunst), das er in der Folge ebenfalls zu einem Vampir (genauer: zu einer „Kinder-Vampirin“) macht, herum und singt dabei noch ein beschwingtes französisches Lied. Mitleidlosigkeit und Freude am Sadismus, die Lestat ausmachen, treffen auf Empathie und Verletzlichkeit, die seinen Gefährten Louis, trotz der Tatsache ebenfalls ein Vampir zu sein, charakterisieren. „Es ist so einfach, dass sie einem fast leidtun“, lautet ein Satz Lestats, der die Einstellung dieser Figur zu den Opfern ihrer mörderischen nächtlichen Aktivitäten gleichsam definiert.
Ein Ereignis für sich ist aber natürlich auch die damals 11-jährige Kirsten Dunst, die bravourös die „Ziehtochter“ der beiden Hauptfiguren, Claudia, spielt, welche sich aber als eine nicht weniger effiziente und verschlagene „Mordmaschine“ als Lestat erweist und sogar dessen vermeintliches Ende herbeiführt. Ihre Worte in der Szene, in der der zuvor von ihr mit vergiftetem Blut versorgte Lestat gleichsam sterbend auf dem Boden liegt, zeugen von der poetischen Note, die Neil Jordan teilweise in seine Dialoge gepackt hat:
CLAUDIA
Gute Nacht, süßer Prinz. Mögen Teufelsscharen dich auf ihren Schwingen zur Ruhe tragen.
Dass Lestat nach nur der Hälfte des Films dann natürlich doch nicht ausgelöscht ist, versteht sich fast von selbst und die finale Szene, in der Lestat den Journalisten Daniel Malloy (gespielt von Christian Slater, der in der Rolle übrigens der Ersatzmann war für den 1993 verstorbenen River Phoenix, dem sogar der ganze Film gewidmet ist) beißt, das Steuer in dessen Auto übernimmt und sich halb sarkastisch halb ironisch über Louis‘ Interview äußerst, das aus den Lautsprechern des Autoradios ertönt, ist nicht nur witzig, sondern versöhnt auch die Tom Cruise-Fans, die, bis auf eine kurze Ausnahme, fast vierzig Minuten lang auf das Comeback des uneingeschränkten Stars des Films haben warten müssen. Und die Tatsache, dass dieses Lestat-Comeback zu der Musik von Guns N‘ Roses, die den Rolling Stones-Klassiker Sympathy for the Devil covern, geschieht, ist für einen alten Guns N‘ Roses-Fan wie mich dann noch zusätzlich erfreulich.
NACHTRAG
1999 musste ich mich einem kleinen chirurgischen Eingriff unterziehen. Am zweiten Abend meines Spitalsaufenthalts traf ich einen Mann, der ohnehin einer meiner Zimmergenossen war, auf dem Gang des Spitals und wir starteten ein Gespräch über Filme, in dem wir irgendwann auch auf Tom Cruise gekommen sind, wahrscheinlich deshalb, weil ich das Gespräch dorthin gleitet hatte :-). Es war, glaube ich, das einzige Mal, dass ich jemanden getroffen habe, der die Dinge in Bezug auf diesen Schauspieler ähnlich gesehen hat wie ich. Wo immer dieser Mann, der beruflich Autos überstellt hat, auch sein mag, und wenn er in der Zwischenzeit sozusagen vielleicht auch nicht mehr sein mag, ich danke ihm für das tolle Gespräch, das wir in dieser Nacht über unseren „heimlichen Lieblingsschauspieler“ Tom Cruise geführt haben!
(Endversion v. 23.04.2018)