Oliver Stones "Natural Born Killers" (1994) oder: Warum Serienkiller-Filme heutzutage aus der Mode gekommen sind… (TEIL 1 des Artikels - EINLEITUNG)

 

 

I

 

 

When I get mad and I get pissed

 

I grab my pen and I write out a list

 

Of all the people who won’t be missed

 

You’ve made my shitlist

 

L7 – Shitlist (Natural Born Killers-Soundtrack)

 

 

 

Give me back my broken night

 

my mirrored room, my secret life

 

it’s lonely here,

 

theres no one left to torture

 

Give me absolute control

 

over every living soul

 

And lie beside me, baby,

 

that’s an order!

 

Leonard Cohen – The Future (Natural Born Killers-Soundtrack)

 

 

 

Wenn Sie sich jetzt, angesichts der beiden Zitate, die aus Liedern stammen, die Teil eines der besten und vor allem eines der, dank Nine Inch Nails-Mastermind Trent Reznor, am besten produziertesten Soundtracks der Filmgeschichte sind, nämlich des Soundtracks zu Oliver Stones Serienkillerepos Natural Born Killers (1994; nach einer Story von Quentin Tarantino), vielleicht denken Mein Gott, wie abgedroschen ist denn bitte das!, so haben Sie völlig recht. Denn: Der Spirit, der diese Zitate trägt, ist in der heutigen Filmlandschaft schlichtweg nicht mehr vorhanden!

Der Umgang mit Gewaltdarstellung im Film war in den 90ern, vor allem dank oder zumindest wegen Quentin Tarantino, ein anderer als heute, wo man ganz generell, nicht nur auf die Kunst bezogen, ohnehin von einer Art „neuem Biedermeier“ sprechen könnte, was ganz klar eine Reaktion ist auf die neuartigen konkreten Bedrohungen, die jeder Einzelne von uns tagtäglich ausgesetzt ist.

Dass sich so ein insgeheimes „neues Biedermeier“ auch auf Kino-Sehgewohnheiten auswirkt, scheint ebenfalls klar. Das Publikum hat genug von Freaks und Losern, sondern es will Superhelden beim Siegen über das Böse zusehen. Das Publikum möchte keinem Travis Bickle, der Hauptfigur aus Martin Scorseses Meilenstein Taxi Driver (1976), dabei zusehen, wie er langsam dem Wahnsinn verfällt, wie er Selbstgespräche vor dem Spiegel führt und schließlich ein Attentat auf einen Politiker plant. Es möchte auch keinem Gangster zusehen, der einem Polizisten, so wie das in Quentin Tarantinos wegweisendem Regie-Debüt Reservoir Dogs (1992) der Fall ist, ein Ohr abschneidet, oder einer Loser-Figur wie Jeffrey „The Dude“ Lebowski zusehen, die als herrlicher Antiheld durch den Coen-Brothers-Geniestreich The Big Lebowski (1998; Regie: Joel Coen) tölpelt. Nein, das Publikum von heute möchte eben, tendenziell, eher Ironman oder Spiderman oder Thor oder Hulk dabei zusehen, wie diese Figuren die gesamte Welt, das gesamte Universum, retten, so wie das eben in den durchaus sogar auch sehenswerten Megahits Marvel‘s The Avengers (2012; Regie: Joss Whedon) oder Avengers: Age of Ultron (2015; Regie: Joss Whedon) der Fall ist.

Die 90er-Jahre boten für jemanden wie mich, der sich für Serienkiller-Figuren, und zwar für reale sowie auch natürlich vor allem für fiktionale, von jeher interessiert hat, eine ganze Menge filmischen Stoff, und unter diesem filmischen Stoff waren natürlich auch so populäre Werke wie der legendäre 5-Haupt-Oscars-Abräumer The Silence of the Lambs (1991; Das Schweigen der Lämmer) von Jonathan Demme oder der mittlerweile auch längst zum Klassiker gewordene Seven (1995; Sieben; stilisiert auch als: Se7en) von David Fincher. Aber natürlich gab es schon vor den 90ern einige Highlights des Genres „Serienkiller-Film“, wenngleich auch nicht unbegrenzt viele, denn kein Genre ist so gefährdet sich am Rande der Lächerlichkeit zu bewegen oder gänzlich in den Trash abzudriften.

 

Mit gutem Gewissen als, schon etwas älteres, Genre-Highlight könnten man beispielsweise den „black comedy horror film“ The Driller Killer (1979; Driller Killer – Der Bohrmaschinenkiller), das Regiedebüt der New Yorker Independent Film-Legende Abel Ferrara, bezeichnen, in dem Ferrara, der im Übrigen selbst die Hauptrolle spielt, bereits jenes Gespür für die „kontroverse Umsetzung kontroverser Themen“ zeigt, die seine späteren Meisterwerke, wie den Rape-and-Revenge-Film Ms. 45 (1981; Die Frau mit der 45er Magnum) oder den brutalen Gangsterfilm King of New York (1990; King of New York – König zwischen Tag und Nacht) mit Christopher Walken oder den großartigen Bad Lieutenant (1992) mit Harvey Keitel, der darin als drogen- und wettsüchtiger Polizist eine der besten Leistungen seiner langen Karriere abgeliefert hat, ausmachen.

Als Genre-Highlights Erwähnung finden müssen aber auch populäre Schocker wie Tobe Hoopers mittlerweile ja fast zum Allgemeingut gehörender und auch durchaus subtil inszenierter The Texas Chain Saw Massacre (1974; Blutgericht in Texas), in dem der Killer „Leatherface“ (reales Vorbild soll ja der berühmt berüchtigte „nekrophile Farmer“ Edward Gein gewesen sein) mit der Kettensäge sein Unwesen treibt, oder der Slasherfilm-Klassiker Maniac (1980) von William Lustig, in dem der schizophrene Serienmörder Frank Zito mit der Kleidung und den Skalps seiner zumeist weiblichen Opfer Schaufensterpuppen in seiner Wohnung dekoriert. Von beiden Filmen, sowohl von The Texas Chain Saw Massacre als auch von Maniac, gibt es mittlerweile Remakes, aber weder The Texas Chain Saw Massacre (Michael Bay’s Texas Chainsaw Massacre; Regie: Marcus Nispel) von 2003 oder Maniac (Alexandre Ajas Maniac; Regie: Franck Kalfoun) von 2012 wissen wirklich zu überzeugen, denn beide Filme sind atmosphärisch meilenweit von den düsteren Originalen entfernt und im Falle von Maniac ist es vor allem der Hauptdarsteller Elijah „Frodo Beutlin“ Wood, der so ganz und gar nicht an den morbiden „Original-Frank Zito“ Joe Spinell heranreicht.

 

Ein schlechtes Remake gibt es, wenn ich es recht bedenke, aber auch von einem meiner Geheimtipps, nämlich The Hitcher (1986; Hitcher, der Highway-Killer; Regie: Robert Harmon), mehr ein Videotheken- denn ein Kinoklassiker, dem ich aber nur jedem ans Herz legen kann, der sich für Filme mit Serienkiller-Figuren interessiert oder für gute Filme mit Rutger Hauer. Leider hat der charismatische Niederländer Rutger Hauer viel zu wenige wirklich gute Filme in Hollywood drehen dürfen, The Hitcher ist aber ganz gewiss, neben dem meines Erachtens aber gnadenlos überschätzten Ridley Scott-Kult-Science Fiction-Harrison Ford-Film Blade Runner (1982), einer davon. Wenn Hauer als Highwaykiller, gewissermaßen als „Fremder ohne Namen“, der Herr über das Schicksal anderer spielen will, mit seinem langen flatternden Mantel durch die staubigen Straßen wandelt, dann sind die Italo-Western von Sergio Leone mit Clint Eastwood nicht weit. Auch hier wiederum gilt: Besser Finger weg von Dave Meyers grauenhaftem Remake The Hitcher aus 2007!

 

Unerwähnt, wenn es darum geht, über gute oder interessante Filme zu sprechen, die von Killern oder Serienkillern handeln, dürfen aber auch nicht einige Werke von den Speer-Spitzen des italienischen Giallo- (Anm.: Giallo ist ein spezifisch italienisches Subgenre des Thrillers, das in den 60ern und 70ern seinen Höhepunkt hatte und in dessen Mittelpunkt meist die Aufdeckung einer Mordserie steht) und Horrorkinos, nämlich Dario Argento und Lucio Fulci, bleiben. Argento, der zurecht als einer der besten Horrorfilm-Regisseure gilt und dem die Film- und Horrorfilmwelt Meisterwerke wie Suspiria (1977), Inferno (1980) oder Phenomena (1985) verdankt, hat speziell mit Profondo Rosso (1975; Profondo Rosso - Die Farbe des Todes) eines der extravagantesten, atmosphärisch mitreißendsten und düstersten Werke des Giallo-Kinos geschaffen, in dessen Zentrum eben, ganz genregerecht, die Taten eines „kranken Gemüts“ liegen. Ebenso wie Profondo Rosso kommt auch Tenebrae (1982; Tenebrae - Der kalte Hauch des Todes) aus dem Jahre 1982, ganz entgegen Argentos sonstiger Gewohnheit, ohne okkulte Elemente daher und bietet das sehenswerte und morbid-spannende Porträt eines mordenden Bestseller-Autors. Die Filme des 1996 verstorbenen Lucio Fulci erreichen zwar nie die Qualität einiger Argento-Werke, sind aber für Horror- oder Giallo-Fans Pflichtprogramm. So entpuppt sich zwar der Fulci-Klassiker Ein Zombie hing am Glockenseil (1980; Paura nella citta dei morti viventi) nicht als jener Über-Zombie-Film, der er aufgrund seines ihm vorauseilenden Rufes sein könnte, das Werk verfügt aber über ein paar atmosphärisch dichte Bilder, die einem im Gedächtnis bleiben. Wegen „Gewaltverherrlichung“ überhaupt 1986 bundesweit in Deutschland beschlagnahmt wurde der eindeutig dem Giallo-Genre zuordbare Der New York Ripper (1982; Lo squortatore di New York). Den Film kann man wahrlich nicht im herkömmlichen Sinne als „gelungenen Beitrag zum Thema“ bezeichnen, denn über die schräge Tatsache, dass der im Film mit seinen Morden die Stadt New York terrorisierende Serientäter seine Stimme hell kreischend wie Donald Duck verstellt, lässt sich irgendwie schwer hinwegsehen :-). Dennoch: Wer eine wirklich brutale Mordszene sehen will, vielleicht die expliziteste und brutalste, die je gedreht worden ist, die Rede ist von dem Mord an der jungen Prostituierten Kitty, den der „New York Ripper“ im Laufe des Films begeht, der wird in diesem teilweise etwas wirren Werk absolut fündig.

 

Aber gehen wir doch zeitlich wieder dahin, wo mein Ausgangspunkt war, nämlich zurück in die 90er-Jahre, in denen ich mir, bewaffnet mit meinem absoluten Lieblingsbuch, nämlich mit Bret Easton Ellis‘ berühmt-berüchtigten sowie äußerst umstrittenen Serienkiller-Roman American Psycho (1991), und der damals „kleinen inoffiziellen österreichischen Bibel“ zum Thema Serienkiller und Film, nämlich Christian Fuchs‘ den 90er-Zeitgeist recht gut widerspiegelnden Buch Kino Killer-Mörder im Film (1995), ein wenig so vorgekommen bin, wie es die folgenden Text-Zeilen, die von meinem Lieblingsrapper Eminem stammen, beschreiben:

 

 

 

How many people you know who can name every serial killer who ever existed in a vow

 

put ‘em in chronological order beginning with Jack the Ripper

 

name the time and place from the body the bag the zipper

 

Eminem – Must Be The Ganja (aus dem 2009er-Album Relapse)

 

 

 

Naja – vielleicht verkläre ich das im Nachhinein ein wenig :-).

 

Kommen wir also zu dem vermeintlichen Opus Magnum der Serienkiller-Filme, nämlich dem allgemein als Meisterwerk geltenden The Silence of the Lambs. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Regie-Oscar für den mittlerweile leider verstorbenen Jonathan Demme, der eine Reihe qualitativ wahrlich sehr unterschiedlicher Filme gedreht hat, von wahren Meisterwerken wie dem bahnbrechenden Talking Heads-Konzertfilm Stop Making Sense (1983) oder der hippen Krimikomödie Something Wild (1986; Gefährliche Freundin) bis zu eher belanglosen Filmchen wie Married to the Mob (1988; Die Mafiosi-Braut) ist da alles dabei, war absolut verdient, denn inszeniert ist das Ganze meisterhaft, aber dieser Multi-Oscar-Film nach der literarischen Vorlage von Thomas Harris verfügt in Wahrheit über eine recht plakative Story voller Holzhammer-Psychologie und über eine Hauptfigur, Dr. Hannibal Lecter (gespielt bekanntlich von Anthony Hopkins), die unrealistischer nicht sein könnte, weil sie eben dem Mythos vom „superintelligenten Serienkiller“ huldigt, und „superintelligente Serienkiller“ kommen in der Realität einfach nicht vor. Auch das titelgebende „Lämmer-Trauma“, das die FBI-Agentin Clarice Starling (gespielt von Jodie Foster) plagt und das sie Dr. Lecter im Film einmal zum Besten gibt, wirkt, retrospektiv betrachtet, eher aufgesetzt als sonst irgendwas. Von dem Killer Jame Gumb (gespielt von Ted Levine), auch „Buffalo Bill“ genannt, der ein Kleid aus Menschenhaut fabriziert, rede ich erst gar nicht.

Wer einen wirklich guten Film mit der Figur Hannibal Lecter sehen will, der darf sich aber keinesfalls an das teilweise tatsächlich geschmacklose Ridley Scott-Spektakel Hannibal (2001; literarische Vorlage: Thomas Harris) halten, sondern schon eher an die erste Verfilmung des Romans Red Dragon (1981; dt. Titel: Roter Drache) von Thomas Harris, betitelt mit Manhunter (1986; Blutmond). Michael Manns Film, eines der heimlichen Meisterwerke der 80er, bietet zwar einen Dr. Lecter (gespielt hier von Brian Cox), der wenig Screen-Time hat und auch wenig Eindruck hinterlässt, dafür aber eine speziell für die Filmwelt der 80er-Jahre wahrlich ungewöhnliche emphatische Ermittlerfigur namens Will Graham, den der spätere „Mister C.S.I.“ William L. Petersen weit eindrucksvoller spielt als etwa Edward Norton in Brett Ratners lahmen Remake Red Dragon (Roter Drache) aus dem Jahr 2002.

Die zweifellos beste Arbeit zum Thema Hannibal Lecter ist aber ganz klar die 39 Folgen umfassende Fernsehserie Hannibal (2013-2015), die von Bryan Fuller entwickelt wurde und in der der James Bond-Casino Royale-Bösewicht Mads Mikkelsen phänomenal und vor allem subtil den kannibalischen Psychiater spielt sowie Hugh Dancy die von ihren empathischen Fähigkeiten regelrecht gequälte Ermittlerfigur Will Graham. Die Serie kann man guten Gewissens als Meisterstück moderner Fernsehkunst bezeichnen, denn sie ist voller ungewöhnlicher, eindringlicher, fieberhafter Bilder, die einem beim Zusehen fast wehtun. Aber da liegt auch schon ein wenig das Problem der Serie, der ein größerer Publikumszuspruch leider versagt geblieben ist: Sie bereitet einem ganz sicher keine „angenehmen Gefühle“, sie ist nicht im herkömmlichen Sinne unterhaltsam, oder so unterhaltsam, als hätte sie eventuell der dänische Regisseur Lars von Trier (z. B.: 1996: Breaking the Waves; 2009: Antichrist; 2011: Melancholia; 2013: Nymphomaniac Vol. I & Vol. II) in einer seiner berühmten „depressiven Phasen“ inszeniert, was gar nicht abwertend gemeint ist, aber zur Heilung von „depressiven Verstimmungen“ würde ich sie nicht empfehlen :-).

 

Leider eine andere „Saat des Bösen“ hat der visuell (dank der rauen, aber streng stilisierten Bilder von Kameramann Darius Khondji) auf jeden Fall beeindruckende und auch sonst spektakuläre "7-Todsünden-Thriller" Seven eine Zeit lang in der Filmwelt installiert, denn David Fincher (z. B.: 1997: The Game; 1999: Fight Club; 2002: Panic Room), der mittlerweile ja zu den großen Filmemachern der Gegenwart gehört und auch für die einstmals gefeierte TV-Polit-Serie House of Cards (2013-Gegenwart) mitverantwortlich ist, hat es gemeinsam mit dem Seven-Drehbuchautor Andrew Kevin Walker geschafft, das ganze Serienkiller-Genre in eine wahrlich bizarre und teilweise auch recht nervige Richtung zu lenken. Dank Seven, der wie das, qualitativ aber durchaus hochwertige, Gegenmodell zu gnadenlos realistischen sowie nüchternen und dementsprechend nicht gerade „publikumsfreundlichen“ Filmen wie etwa John McNaughtons Kultfilm Henry: Portrait of a Serial Killer (1986; Anm.: mit „Henry“ ist der berühmte US-Serienkiller Henry Lee Lucas gemeint) wirkt, hat man es in den Jahren darauf mit einer ganzen Reihe von „Super-Serienkillern“ zu tun bekommen, deren betriebener Aufwand immer abenteuerlicher wurde, genauso wie die bizarren Tableaus und Szenarien, die sie den Ermittlern stets hinterlassen haben. Kiss the Girls (1997; …denn zum Küssen sind sie da; Regie: Gary Fleder; literarische Vorlage: James Patterson) mit Morgan Freeman und Ashley Judd oder The Bone Collector (1999; Der Knochenjäger; Regie: Philip Noyce) mit Denzel Washington und Angelina Jolie sind dementsprechende Negativbeispiele für den fragwürdigen Trend, welchen Seven damals begründet hat.

 

Allerdings: Kevin Spaceys momentaner Status in Hollywood und die entsprechenden Gründe dafür sind ja allen bekannt, aber dass er ein guter Schauspieler war (und ist), davon kann man sich auch in Seven überzeugen, denn sein Kurzauftritt als Killer „John Doe“ am Ende des Films ist gleichzeitig der Höhepunkt desselben. Eine viel unangenehmere, grusligere und bösartigere Aura kann man auf der Leinwand fast nicht erzeugen, als Spacey das in den wenigen Filmminuten, die ihm laut Drehbuch zur Verfügung gestanden haben, tut. Man ist sozusagen richtiggehend erleichtert, als Brad Pitt ihm mit seiner Schusswaffe dann endlich den Gar ausmacht.

Dieser Auftritt Spaceys ist auch deshalb irgendwie besonders erwähnenswert, weil er zeigt, wie wichtig es ist, dass man, wenn man irgendwelche großen Erwartungshaltungen bezüglich eines Antagonisten, eines Bösewichts oder „Super-Bösewichts“ weckt, diese dann auch möglichst erfüllen sollte, weil sonst Werke dieser Art mit Schurken-/Killer-Figuren dieser Art zu leichter Verärgerung führen. Und das bringt mich zu etwas, das ich seit einigen Jahren in Unterhaltungen als „das große Red John-Desaster“ bezeichne, denn in der an sich von mir sehr gemochten TV-Serie The Mentalist (2008-2015) wurden genau diese Erwartungshaltungen bezüglich der Serienkiller-/Superschurken-Figur „Red John“, dem Gegenspieler der Hauptfigur Patrick Jane (Simon Baker), letztendlich so ganz und gar nicht erfüllt, ein Umstand, der mich im Oktober 2014 zu einer (im Übrigen viel zu lang geratenen :-)) Rezension auf Amazon bewogen hat, welche ich nun hier wiedergeben möchte:

 

Der "Mentalist" gehörte in den letzten Jahren zu den absoluten Serien-Highlights und war für mich persönlich etwas Besonderes - eine Serie eben, die ich als spannend, unterhaltsam und intelligent zugleich empfunden habe. Hätte man mich nach meinen Lieblingsserien gefragt, dann hätte ich den "Mentalist" sogar gleich nach "Dexter" genannt, obwohl einige "Puristen" das sicherlich als "nicht adäquat" empfinden, diese beiden Serien auf fast einen Level zu stellen :-). 

Aber von Staffel 1 bis inklusive Staffel 5, in der dann beispielsweise eine neue, interessante Figur wie Bob Kirkland auftaucht, war die Serie mit Simon Baker tatsächlich so etwas wie ein TV-Meisterwerk, das sich wohltuend vom Krimiserien-Allerlei, das einem sonst so präsentiert wird, abgehoben hat.
Aber der Motor der ganzen Serie war halt zweifellos Janes obsessive Suche nach Red John. Und die Red John-Folgen waren dementsprechend auch die Highlights jeder Staffel, wobei eben auch die "normalen Folgen" mit "normalen CBI-Fällen" gut waren, weil eben immer dieser zentrale Antrieb der Hauptfigur beim Anschauen sozusagen im Hinterkopf des Zuschauers mitgeschwungen ist. Man wusste: Patrick Janes Suche würde weitergehen und Red John irgendwann wieder auftauchen!
Nun, bei der sechsten Staffel ist etwas schief gegangen, und zwar ganz gewaltig!!!
Die Auflösung der Red John-Geschichte ist, gelinde gesagt, unbefriedigend und, was noch viel schwerer wiegt, sie nimmt einem die Freude an allen vorherigen Staffeln, weil man eben eine Person als Red John vorgesetzt bekommt, bei der es einem nur sehr schwer fällt, diese auch als jenen geheimnisvollen, abgrundtief bösen und vorher über fünf Staffeln lang regelrecht zum Mythos hochstilisierten Gegenspieler Janes zu akzeptieren! Man fragt sich immer: Was wurden da nur für Möglichkeiten verspielt ein wirklich mitreißendes, spannendes Endspiel zwischen Jane und Red John zu inszenieren!!!
So ist die Auflösung des, im wahrsten Sinne des Wortes, zentralen "roten Fadens", die sich über die ersten 8 Folgen der 6. Staffel hinzieht, nicht nur teilweise schludrig und sogar oberflächlich gemacht, sondern lässt einen verärgert zurück, weil es eben, wie schon angedeutet, unterlassen wurde, einen guten, charismatischen Gegenspieler zu präsentieren.

Dass das sehr wohl möglich ist, weiß man - man denke nur an das geniale, mitreißende Duell zwischen Holmes und Jim Moriarty (wirklich unnachahmlich gespielt von Andrew Scott!) im letzten Teil der zweiten Staffel von "Sherlock" - das brennt sich ins Gedächtnis ein und man kann sich diese Mini-Serie immer wieder ansehen, obwohl man dann natürlich weiß wie Moriarty aussieht etc.
Hier hingegen hat man dann bei all den starken und unheimlichen Momenten, die die Red John-Folgen über die Jahre und Staffeln geboten haben, dann ausgerechnet d i e s e Figur vor Augen und das Ganze kommt einem sogar leicht lächerlich vor - mir persönlich geht es leider so und bisher hat sich an dem Gefühl auch nichts geändert.

Aber auch was nach Red John kommt, dieser sogenannte "Neustart" Janes beim FBI, ist nicht wirklich gelungen. Die einzelnen Folgen sind ja durchaus nicht schlecht, aber sie haben sozusagen nichts mehr, was sie im Hintergrund zusammenhält oder gar eine Faszination aufrechterhält oder erzeugt. Konnte ich es früher gar nicht erwarten, mir die einzelnen Folgen entweder gleich oder eben aufgezeichnet am nächsten Tag anzuschauen, so vergehen mittlerweile fast schon 1-2 Wochen, bis ich mich "erinnere" und die Folgen dann auf Video anschaue. Was soll ich sagen: Der "Magic touch" der Serie ist eben mit der schlecht aufgelösten Red John - Geschichte ebenfalls zu Grabe getragen worden - leider...
So bleibt die Season 6 von "The Mentalist" nur ein Beleg dafür, wie wichtig es für Serien ist, zu einem guten, befriedigenden Ende zu kommen und was für einen schalen Nachgeschmack es hinterlässt, wenn dies, nach all den Jahren wirklich toller Unterhaltung, nicht gelingt.

(Amazon-Rezension aus dem Oktober 2014)

 

Mittlerweile habe ich mich aber sozusagen wieder „eingekriegt“ und mein Zorn über das „große Red John-Desaster“ ist größtenteils verflogen. Einen ernsthaften Impuls, mir die Serie wieder mal anzusehen, hatte ich allerdings auch nie mehr :-).

Irgendwie der letzte wirklich ernstzunehmende und gute Serienkiller-Kinofilm ist Mary Harrons American Psycho (2000), die Verfilmung des gleichnamigen und von mir weiter oben als mein Lieblingsbuch bezeichneten Skandalromans von Bret Easton Ellis. Gott sei Dank hat letztendlich Christian Bale die Rolle des killenden Yuppies Patrick Bateman erhalten und nicht, wie kurz angedacht, Leonardo DiCaprio, der wohl mit dieser Rolle seinen damals noch relativ frischen Titanic-Ruhm zielsicher versenken wollte. Obwohl das Werk, das noch dazu, angesichts der doch recht epischen Länge des Buches von weit über 500 Seiten, eine relativ kurze Laufzeit von nur knapp 98 Minuten hat, nicht ansatzweise mit der ganzen Monstrosität der literarischen Vorlage mithalten kann, so ist daraus zumindest ein seriöser „black comedy horror film“ geworden, in dem Bale seine Sache mehr als gut macht und in jeder Sekunde des Films dem Zuschauer den mörderischen Wahnsinn spüren lässt, der sich nur mühsam unter der glatten und perfekt gestylten Yuppie-Oberfläche Batemans zu verstecken weiß.

Die Vorwürfe der Frauenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung, die im Zusammenhang mit dem Buch American Psycho immer wieder aufgekommen sind, kann ich zwar verstehen, denn das ganze Werk ist in gewisser Weise tatsächlich eine geschickte Gratwanderung zwischen Anspruch und Effekthascherei, aber andererseits stellt sich mir auch die Frage: Kann ein Buch, in dessen Zentrum ein Serienkiller steht, der Frauen als Opfer bevorzugt, überhaupt frauenfreundlich sein angesichts der Tatsache, dass „frauenfreundliche Frauenmörder“ wohl noch nicht erfunden worden sind?

Natürlich könnte man auch sagen, dass ein Autor, der den Impuls hat ein mehr als brutales Buch über einen Frauenmörder dieser Art zu schreiben, über einen Serienkiller, grundsätzlich nicht unbedingt ein Freund von Frauen sein kann.

Tja, die Sache ist, wie die ganze turbulente Rezeptionsgeschichte von American Psycho zeigt, nicht so leicht zu entscheiden. Kunstwerk oder Machwerk? Sicher ist nur, dass speziell der Roman American Psycho wohl noch nie jemanden kalt gelassen hat...

 

Besser als so ziemlich jeder Kinofilm zum Thema ist aber die TV-Serie Dexter, die von 2006 bis 2013 von Showtime produziert worden ist und die auf den Dexter-Romanen des US-Autors Jeff Lindsey basiert. Ich selbst habe jahrelang mit „everyone’s favorite serial killer“ mitgefiebert, mir jede Staffel sofort nach dem Erscheinen auf Englisch gekauft, sodass ich jetzt natürlich, wie Sie sich vielleicht vorstellen können, vor der Tatsache stehe, jede Staffel gleich doppelt, auf Englisch und auf Deutsch, zu besitzen :-).

 

Aber ich sage Ihnen was: Der „finanzielle Mehraufwand“ hat sich acht Staffeln lang wirklich gelohnt!

 

Denn: Dexter ist spannend, mitreißend und intelligent zugleich. Letzteres, also intelligent, auch deshalb, weil sich in der Serie sehr viele Wahrheiten über die Persönlichkeitsstrukturen von Soziopathen und Psychopathen finden und weil auch die zerstörerischen Auswirkungen außerordentlich konsequent dargestellt werden, die Menschen mit derartigen Persönlichkeitsstrukturen auf ihre Umgebung und auf alle, die mit ihnen näher in Kontakt kommen, haben können. Und mit „zerstörerische Auswirkungen“ ist hier natürlich nicht nur die Möglichkeit gemeint, von einem psychopathischen Killer ermordet zu werden. 

 

Michael C. Hall spielt Dexter Morgan, den Spezialisten für Blutanalysen bei der Polizei von Miami, der in Wahrheit aber ein Serienkiller ist, der andere brutale Killer tötet, sehr subtil und bis in den kleinsten Augenaufschlag hinein glaubwürdig. Eine Leistung, für die er verdient, unter anderem, auch den Golden Globe als bester Hauptdarsteller in einer Fernsehserie gewonnen hat. 

 

Die ganze Serie ist derartig gut inszeniert und gespielt, dass man sofort vergisst, wie reichlich unrealistisch, wenngleich auch faszinierend, die Disposition ist, von der sie ausgeht: Dexters pathologischer Zwang zu töten, den er in der Serie immer als seinen „dunklen Begleiter“ bezeichnet, wurde von seinem Stiefvater schon in Dexters Kindheit erkannt und so kanalisiert, dass er ihn sozusagen „für die Gerechtigkeit“ einsetzen kann, indem er mörderische Selbstjustiz übt.

 

Der gefeierten vierten Staffel von Dexter, die man auch mit „Krieg der Serienkiller“ untertiteln könnte und die von der Kritik und dem Publikum, dank der grandiosen Leistung von John Lithgow als Dexter-Gegenspieler und Serienkiller „Trinity“, gemeinhin als beste der gesamten Serie qualifiziert wird (ich selbst bevorzuge allerdings die Staffeln 2 und 7), verdanken wir einen der grausigsten und schockierendsten Momente der TV-Geschichte!!!

 

Denn ausgerechnet als alles vorbei scheint und Dexter den Trinity-Killer endlich zur Strecke gebracht hat und, wie üblich, zerstückelt und in einem Müllsack auf den Grund des Meeres versenkt hat, kommt Dexter nach Hause und findet dort seine Frau tot in einer Badewanne vor sowie seinen kleinen Sohn sitzend auf dem Badezimmerboden, der voller Blut ist. Diese Rache Trinitys an Dexter ist etwas, was den Zuseher nicht nur schockiert zurücklässt, sondern auch nicht mehr loslässt.

 

Und ich garantiere Ihnen, dass es Ihnen so gehen wird wie mir, nämlich, dass Sie sich, obwohl Sie den Ausgang ja schon kennen, jedes Mal von neuem vor dieser Szene fürchten werden, wenn Sie sich die Staffel anschauen!

 

(ENDE von TEIL 1 des Artikels; Fassung vom 10.05.2018)